Unser Buch „Digitale Dekarbonisierung – Technologieoffen die Klimaziele erreichen“

Wir, ein aus fünf Forschern, Praktikern und Beratern bestehendes Autorenteam, beschreiben im Buch Digitale Dekarbonisierung eine innovative Methode, mit deren Hilfe sich der Ausstoß klima­schädlicher Treibhausgase von Industriebetrieben, Energieversorgungsunternehmen, Städten und Regionen nachhaltig reduzieren lässt.

Seiten: 253
Grafiken: 79 Abbildungen in Farbe

ISBN Buch 978-3-658-32933-4
ISBN eBook 978-3-658-32934-1
ISBN DOI 10.1007/978-3-658-32934-1

Game Changer Digitale Dekarbonisierung

Informationen zum Buch und Angebot zur Rezension des Verlags.

Leseprobe

Makrobetrachtung inklusive Anwendungsfälle

Zu Beginn der Energiewende zeigte sich überall auf der Welt der Fortschritt im Wesentlichen durch die technologische Optimierung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Ressourcen und deren steigendem Anteil an der Gesamtstromproduktion. Die Maßnahmen hatten sich zunächst allein auf den Stromsektor konzentriert.

Heute wird für die Dekarbonisierung in Ländern wie z. B. Deutschland, die diesen Weg schon seit Längerem eingeschlagen haben, klar, dass weitere Fortschritte allein im Stromsektor nur zu stark steigenden Kosten zu realisieren sind. Aus diesem Grund sind in den letzten Jahren zu Recht die übrigen Energiesektoren vermehrt in den Fokus geraten. Für Länder wie beispielsweise Deutschland sind hier allen voran der Wärme- und Verkehrssektor relevant; unter anderen klimatischen und geologischen Randbedingungen sind Sektoren wie Wasserentsalzung oder Kühlung zu nennen.

Die oft relativ hohen Wirkungsgrade und Automatisierungen von elektrifizierten Sektoren machen eine Sektorkopplung interessant. Wie im Abschn. 2.3.3 bereits ausgeführt, meint Sektorkopplung hier insbesondere die Kopplung der beiden Sektoren Wärme- bzw. Kälteversorgung und Verkehr mit dem Stromsektor. Spätestens bei der optimalen Ausgestaltung der Sektorenintegration dominieren systemische Fragestellungen, sodass der Makromodellierung eine wichtige Rolle zukommt.

Ein aktuelles Beispiel behandelt hier die „Farbe” des Wasserstoffes, d. h. seine verfahrenstechnische Herkunft.

Farbenlehre des Wasserstoffs

Obwohl es sich bei Wasserstoff um ein farbloses Gas handelt, trägt es je nach Ursprung im Produktionsprozess unterschiedliche Farbbezeichnungen:
Grüner Wasserstoff. Grüner Wasserstoff wird elektrolytisch aus Wasser produziert, wobei der für die Elektrolyse erforderliche Strom ausschließlich aus erneuerbaren Energien stammt. Da der erforderliche Strom aus erneuerbaren Quellen stammt, erfolgt – unabhängig von der gewählten Elektrolysetechnologie – die Wasserstoffproduktion entsprechend CO2-frei.

Grauer Wasserstoff. Grauer Wasserstoff wird aus fossilen Brennstoffen gewonnen. Bei der sogenannten Dampfreformierung wird Erdgas unter Hitze in Wasserstoff und Kohlendioxid umgewandelt. In der Regel wird das in diesem Verfahren anfallende Kohlendioxid anschließend ungenutzt in die Atmosphäre abgegeben. Grauer Wasserstoff trägt im Gegensatz zu seinem grünen Pendant somit direkt zum globalen Treibhauseffekt bei.
Blauer Wasserstoff. Blauer Wasserstoff ist grauer Wasserstoff, dessen Kohlendioxid allerdings bei der Entstehung abgeschieden und gespeichert wird. Mit diesem auch als Carbon Capture and Storage (CCS) oder Carbon Capture and Utilization (CCU) bezeichneten Verfahren gelangt somit das bei der Wasserstoffproduktion erzeugte Kohlendioxid nicht in die Atmosphäre. Damit wird blauer Wasserstoff bilanziell als CO2-neutral betrachtet. In der Praxis hat kein technischer Prozess einen perfekten Wirkungsgrad. Entsprechend verbleibt bei der Abscheidung natürlich immer eine Restmenge Kohlendioxid.

Türkiser Wasserstoff. Türkiser Wasserstoff ist schließlich Wasserstoff, der über Methanpyrolyse, also der thermischen Spaltung von Methan hergestellt wurde. Anstelle des gasförmigen Kohlendioxids entsteht fester Kohlenstoff. Voraussetzungen für die bilanzielle CO2-Neutralität dieses Verfahrens sind einerseits die Wärmeversorgung des Hochtemperaturreaktors aus erneuerbaren Energiequellen und andererseits die dauerhafte Bindung des anfallenden Kohlenstoffs. Das Verfahren wurde bereits im Labor nachgewiesen. Für eine praktische, großtechnische Implementierung ist noch einiger Entwicklungsaufwand erforderlich.

Violetter Wasserstoff. Violetter Wasserstoff wird, wie der grüne Wasserstoff, elektrolytisch aus Wasser produziert. Der Strombedarf für die Elektrolyse stammt aus Kernkraftwerken. Da die Erzeugung von Atomstrom nicht mit CO2-Emissionen verbunden ist, wird violetter Wasserstoff als CO2-neutral gewertet und in einzelnen Ländern aufgrund vorhandener Kraftwerksparks derzeit in Betracht gezogen. Hinsichtlich einer Diskussion der Vorteile und Nachteile der Kernenergie verweisen wir auf das einschlägige Schrifttum.

Die zukünftige Rolle von Wasserstoff bei der Dekarbonisierung bzw. in unseren Energiesystemen wird aktuell heftig und kontrovers in der Öffentlichkeit diskutiert. In dieser Diskussion spielen Hoffnungen auf zukunftssichere Arbeitsplätze und nachhaltige Geschäftsmodelle eine große Rolle. Damit einhergehend sind Partikularinteressen und politische Einflussnahmen, wobei die Transparenz auf der Strecke bleiben kann. Genau hier kann Makromodellierung helfen, die wesentlichen Hebel zu identifizieren, sowie eine Projektion von häufig in Szenarien formulierten Annahmen auf eine mögliche Zukunft zu leisten. Die Ergebnisse der Makromodellierung können uns ohne Frage nicht sagen, wie die Zukunft sein wird. Sie bieten aber eine transparente und konsistente Basis für politische und wirtschaftlich Entscheidungen, indem sie die Konsequenzen langfristiger politischer Ziele auf das Heute und die nahe Zukunft aufzeigen. Die Entscheidung können uns die Algorithmen und Modelle jedoch nicht abnehmen.

[Quelle: Buch Digitale Dekarbonisierung, Kapitel 5, Einführung]

Die Autoren dieser Publikation vertreten weder Positionen oder Meinungen noch etwaige wirtschaftliche Erwägungen der Siemens AG oder einer anderen Institution. Es handelt sich entsprechend um eine Fachpublikation mit ausschließlich privatem Charakter.

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